Süddeutsche Zeitung online am 08.07.2009
http://www.sueddeutsche.de/,ra14m1/muen ... 9882/text/Münchens Autofahrer sollten sich schon einmal auf härtere Zeiten einstellen: Die von der Europäischen Kommission erteilte Gnadenfrist zur Einhaltung der Feinstaub-Grenzwerte ist an strenge Auflagen geknüpft, die nach einer ersten Einschätzung des Umweltreferats deutlich über eine Verschärfung der Umweltzone hinausgehen.
Um das Überschreiten der Limits zu vermeiden, verlangt Brüssel nun "kurzfristig wirkungsvolle Maßnahmen" - vor allem im Verkehr, der als Hauptursache der hohen Feinstaubbelastung eingestuft wird. Theoretisch sind sogar Fahrverbote möglich: Die Formulierung im offiziellen EU-Papier, das der SZ vorliegt, bietet Spielraum für Interpretationen, lässt diesen Schluss aber durchaus zu. Als Option wohlgemerkt - was München konkret unternimmt, um die Vorgaben zu erfüllen, wird nicht in Brüssel entschieden.
Kein Freibrief, die Limits zu ignorieren
Neben München haben diverse deutsche Städte, darunter Augsburg, bis Juni 2011 Zeit bekommen, die eigentlich schon seit 2005 gültigen Feinstaubgrenzwerte einzuhalten. Speziell auf Bayerns Hauptstadt bezogen ist der Passus, wonach der Luftreinhalteplan ergänzt werden müsse mit kurzfristig wirksamen Maßnahmen "zur Kontrolle oder, soweit erforderlich, zur Aussetzung der Tätigkeiten, die zur Gefahr einer Überschreitung der Grenzwerte beitragen".
Dass mit diesen "Tätigkeiten" unter anderem Autofahren gemeint ist, ergibt sich aus einer speziellen Richtlinie "für kurzfristige Maßnahmen", auf die im EU-Papier ausdrücklich Bezug genommen wird.
Aussetzung des Autofahrens - das klingt nach Fahrverboten oder zumindest nach rigiden Eingriffen in den Verkehr. Brüssel erwartet entsprechende Vorschläge aus München bis spätestens 31.Dezember 2010. Klar ist: Die Ausnahmegenehmigung, die übrigens den meisten europäischen Städten verweigert wurde, ist kein Freibrief, die Limits einfach einige Jährchen länger zu ignorieren. Die EU erwartet konkrete Schritte in Richtung saubere Luft.
Dass es Bedarf für "kurzfristige Maßnahmen" gibt, steht laut Umweltreferent Joachim Lorenz fest. Denn auch wenn wie geplant im Oktober 2010 Autos mit roter und von 2012 an auch mit gelber Plakette nicht mehr in die Umweltzone fahren dürfen, reicht dies aller Voraussicht nach nicht aus, die Limits einzuhalten. Die grüne Rathausfraktion fordert daher "mutige Schritte". Verkehrssprecherin Sabine Nallinger hält die im Rathaus umstrittene Verschärfung der Umweltzone für das "absolute Minimum dessen, was die Stadt tun muss". Angesichts des Briefes aus Brüssel sei es angebracht, Autos mit gelber Plakette schon früher auszusperren als bislang geplant. Außerdem müsse man die Verkehrsströme in die Stadt dosieren. Dazu könnten Telematiksysteme installiert werden, sogenannte Pförtnerampeln, die wie Ventile den Zufluss von Autos ins städtische Verkehrsnetz steuern. Erfahrungen in Frankfurt und Zürich zeigten, dass die Autofahrer flexibel reagierten und auf andere Verkehrsmittel oder verkehrsärmere Zeiten auswichen.
Gnadenfrist gilt für Tagesgrenzwerte
Zwar ist der Freistaat für die Luftreinhaltepläne verantwortlich, der Ministerrat hat aber den Kommunen weitgehende Gestaltungsmöglichkeiten eingeräumt. Die Suche nach sinnvollen "kurzfristigen Maßnahmen" dürfte also überwiegend im Münchner Rathaus stattfinden. Verschärft wird die Situation durch neue Stickoxid-Grenzwerte, die von Januar 2010 an gültig sind und, das zeigen Messungen der vergangenen Jahre, in München ebenso wenig eingehalten werden können wie die für Feinstaub.
Die nun in Brüssel gewährte Gnadenfrist bezieht sich übrigens nur auf die Tagesgrenzwerte - also jene berühmten 50 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter Luft, die an maximal 35 Tagen pro Jahr überschritten werden dürfen.
Für 2009 sind an der Landshuter Allee aktuell 36 Sündenfälle registriert, allerdings stehen wohl noch einige trübe November- und Dezembertage mit entsprechenden Inversionswetterlagen bevor. Der bisherige Negativrekord wurde im Jahr 2005 mit 107 Grenzwertüberschreitungen erreicht. Deutlich weniger Probleme hat München mit dem Einhalten des Jahresgrenzwerts von durchschnittlich 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Für dieses Limit gilt die Fristverlängerung daher nicht.
Die EU-Kommission attestiert, entgegen der Erwartung vieler Experten, der Stadt München erschwerte Bedingungen bei der Luftreinhaltung. Dies liege allerdings nicht an schwierigen geographischen oder klimatischen Bedingungen, sondern an der Enge der Straßen. Dabei dürften vor allem Landshuter Allee und Stachus mit ihrer hohen Verkehrsbelastung gemeint sein.